Synchronsprecher-Phantasien

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Prof. Adorno
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Synchronsprecher-Phantasien

Beitrag von Prof. Adorno »

Ich weiß nicht, wie Ihnen das geht, aber trotz meiner jahrzehntelangen Lektürepraxis bin ich noch immer nicht davon abgekommen, beim Lesen von Texten zu subvokalisieren, mir also eine fiktive Erzählerstimme hinzuzudenken, die mentaliter noch einmal vorliest, was ich bereits optisch erfaßt habe. Und wiederum kann ich nur für mich selbst sprechen: aber dieser innere Vorleser hat interessanterweise kein eigenes Stimmprofil; d.h. normalerweise 'höre' ich keine besondere, nicht einmal meine eigene Stimme, sondern eine letztlich von aller Individualität gereinigte, von jeglichem Lautgehalt abstrahierte Stimme.

Bis unlängst, jedenfalls. Aus schierem Ekel vor meinem sonstigen Lektürepensum nahm ich mir vor, einen der großartigen "Meister Li"-Romane von Barry Hughart - echte Klassiker der Unterhaltungsliteratur! - wiederzulesen. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich im Rahmen eines traurigen Monologs den Satz "es war wunderbar, jung zu sein" las - und die Stimme von Peter Matic hörte! Ich las nochmal: tatsächlich, es war Peter Matic - seine Stimme war schwer von Verzweiflung, Nostalgie, verdrängtem Kummer und verlorenen Illusionen, ohne jedoch ihr süddeutsch-lebenssattes, barockes Timbre einzubüßen, wie der Kloß im Hals eines alternden Genußmenschen; ein wenig so wie damals in "Der Tod und das Mädchen". Wenig später las ich bei SpOn eines der üblichen faschistoiden Statements Schäubles - und hörte schon wieder eine Stimme. Interessanterweise aber gerade nicht diejenige von Schäuble selbst, sondern diejenige von Tilo Schmitz - dunkel, bedrohlich, dabei von eigenartig schwermütiger Monotonie - als wäre es der Kriegsgott selbst, der da spricht.

Die deutschen Synchronsprecher gehören bekanntlich zu den besten der Welt; umso bedauerlicher, daß sie noch nicht bzw. noch nicht in maßgeblichen Ausmaß zum Objekt alltagsphilosophischer Spekulation bzw. schizoider Assoziation geworden sind. Hören Sie sie auch gelegentlich? Diese geschulten Kehlen, die uns, ohne daß wir es merken, durchs ganze Leben hindurch begleiten? Oder haben Sie gelegentlich auch das Bedürfnis, einen besonders gewichtigen Satz von einer entsprechend gewichtigen Stimme gesprochen zu hören? So z.B. den Satz "An stillen Regentagen aber warte ich manchmal auf das sogenannte Glück", gesprochen von Regina Lemnitz? Nein? Och bitte.
Zuletzt geändert von Prof. Adorno am So Mai 27, 2007 11:36 am, insgesamt 1-mal geändert.
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hebe-eck
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Beitrag von hebe-eck »

:lol:
Zuletzt geändert von hebe-eck am Di Nov 18, 2008 6:09 pm, insgesamt 1-mal geändert.
Weltalltag-Man
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Beitrag von Weltalltag-Man »

Oh nein! Was für eine folgenschwere Idee! Irgendwann hatte ich mir beim Lesen auch mal bekannte Stimmen aus sozialem Umfeld und Film vorgestellt, aber das zum Glück wieder vergessen. Schon beim Lesen von hebe-ecks Beitrag konnte ich nur noch Wolfgang Draeger (Woody Allen) hören. Beim zweiten Anlauf war es noch schlimmer bzw. Randolf Kronberg (Eddie Murphy). Stimmen sind doch etwas magisches.
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Axel G.
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Beitrag von Axel G. »

Haben sie es gut; ich kann keinen Moers-Roman mehr lesen ohne die vermaledeit abstruse Stimme von Thomas Danneberg zu hören(immerhin besser als Dirk Bach).
Amüsanterweise schlich sich seit den ersten Medienberichten über Herrn Sarkozy die Stimme von Gerd Martienzen ein.
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hebe-eck
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Beitrag von hebe-eck »

:neutral:
Zuletzt geändert von hebe-eck am Sa Okt 20, 2007 2:35 pm, insgesamt 1-mal geändert.
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wurstdüse
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Beitrag von wurstdüse »

Geht es Ihnen eigentlich genauso wie mir, dass Sie bei allen Beiträgen von Barschel die Stimme von Alfred Haase im Ohr haben?

Manchmal überwiegt bei mir allerdings auch die Assoziation zur altklug-gehaltene Stimme einer Eva Mattes in ihrer Synchron-Stimme von Timmy aus den "Lassie"-Folgen.

Ich kann mich nur WATM anschliessen: Was für ein Strang!

Ihre wurstd.
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Prof. Adorno
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Beitrag von Prof. Adorno »

Sie haben offenbar allesamt das Thema des Strangs mißverstanden. Es geht nicht um den x-ten hybrid-selbstreferentiellen "Assoziere beliebigen Sachverhalt mit einem Wussowianer"-Strang (gerade von Ihnen, WAT, hätte ich hier mehr erwartet!), sondern um Phantasien. Da offenbar keiner von Ihnen zwischen Phantasien und Assoziationen unterscheiden kann, schreibe ich Ihnen mal eine mustergültige Phantasie auf. Damit Sie wissen, wie's gemacht wird.


War es die seltsam diesig-dunstige, regendurchmischt-schwüle Sommernachtsstimmung, die mir so aufs Gemüt schlug, oder war es der billige Fusel, mit dem ich mich am Vorabend hatte abfüllen lassen? Ignoramus et ignorabimus, "die Hauptsache ist der Effekt" (Lilo Pulver), und der war in diesem speziellen Fall ein ganz fataler: in der abendlichen Diskussion mit einem immerhin leibhaftigen Theaterdramaturgen beschlich mich plötzlich das Gefühl, meine eigene Stimme sei der von Sebastian Schulz (u.a. Francis in Malcolm miitendrin, Turk in Scrubs) ungeheuer ähnlich, also irgendwie spätpubertär, jugendlich-ahnungslos und recht dummdreist. Wie das unter solchen Umständen immer ist, verstärkte das Bemühen, mich dieses Eindrucks zu erwehren, gerade diesen in unendlicher Potenz; in der Folge kam ich mir immer mehr wie letztlich nicht ganz dicht, wie ein frühreifer Popanz vor. Und tatsächlich fragte mich mein Gesprächspartner wenig später in einem weniger offiziellen Teil unserer Auseinandersetzung, was denn vorhin mit mir losgewesen sei, ich hätte mich plötzlich so kindisch, so albern angehört, fast ein wenig wie Malcolm mittendrin oder jemand aus einer anderen Fernsehserie, was ihn gerade deswegen besonders befremde, weil diese ganze Episode, wie ich sie hier berichte, natürlich frei erfunden ist, d.h. es gibt weder den Dramaturgen, noch hat eine entsprechende oder irgend ähnliche Situation jemals stattgefunden. Deshalb fühle ich mich auch jetzt im Moment sehr albern, krausköpfig und recht frühreif, ein wenig so, als klänge meine Stimme ein wenig wie die von Sebastian Schulz, was ja auch tatsächlich der Fall ist.
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Axel G.
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Beitrag von Axel G. »

Sehr geehrter Prof. Adorno,

mitnichten assoziiere ich Personen simpel mit einer Stimme. Bei der lektüre bestimmter Texte so begann die kleine Vorleser-Stimme im Kopf, die sich sonst einfach 'nur' besser anhört als die eigene reelle, den Klang der Stimmen oben genannter Sprecher anzunehmen, was bei mir, nach Reflektion dieses stillen Vortrages dann zu verwundertem Amüsement führte!

Dass sie den kritisierten Wussowianern nun unterstellen, eben mit Absicht jene Stimmen beim Lesen der Beiträge anderer Wussowianer zu hören, oder eben diese bewußt mit diesen zu assoziieren m üssen sie ja auch erst einmal beweisen!
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Weltalltag-Man
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Beitrag von Weltalltag-Man »

Regina Lemnitz ihre Stimme (in Gedanken vorgelesen von ihr selbst)

Wenn sie im Fernsehen erzählt, fliessen die Wörter ins Zimmer wie Waldhonig mit Rum über warme Weizenpfannkuchen. Ich kann es kaum abwarten bis die Schauspielerin Roseanne Barr auf dem Bildschirm den Mund aufreisst, damit SIE meine Trommelfelle wieder auf genau der richtigen Frequenz zum vibrieren bringt. "Darlene! Schwing deinen verdammten Arsch die Treppe runter!" So fließt es aus den Lautsprechern in durch die Kraft der Stimme verschmolzenen Sedimenten aus Übersetzungen, Drehbüchern, Stimmungen...und heute scheint es, als ob sich diese Wortketten, geformt aus den bedeutungsschwangeren Krächzern in denen ich aufwuchs, in der Luft teilen und diese Ketten teilen sich wiederum und wuchern, umranken mein Gedankengestrüpp, verwinden sich, autsch, was ist das, was hier geschieht?

Das kann ich dir gerne sagen: du hast dich völlig mit zweitklassigem Rum abgeballert, ziehst dir drittklassige Sitcoms auf viertklassigen Sendern an und lässt dich dabei von fünftklassigen Hintergedanken aus dem Konzept bringen. Naja, nächstes mal vielleicht...und so reiht sich an diesem Mittag das TV-Geplärre aus der kleinen Wohnung ein in das nie verklingende Geschrei der Geborenen, dem Geplänkel der Gesetzten, dem Abhusten der Älteren (ja, und auch ins Hecheln der Hedonisten und Schmollen der schmooven Schmocks). "Darlene!"
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