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Tischlampe
Beiträge: 320
Registriert: Mo Mai 27, 2002 9:51 pm
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Beitrag von Tischlampe »

Telepolis berichtet heuteausführlich über das Trollen bei amazon.
Amazon bietet seinen Kunden eine Reihe von Hilfsmitteln an, damit diese sich bei Kaufentscheidungen nicht ganz alleine gelassen fühlen. Neben den professionellen Rezensionen können auch Kunden ihre Meinung zu einem Buch hinterlassen. Wie sachlich und zutreffend – und damit brauchbar – diese Rezensionen sind, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
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Prof. Adorno
Abschnittsbevollmächtigter
Beiträge: 392
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Beitrag von Prof. Adorno »

Es gibt ein neues wundersames Mutmachbuch! Unter dem angenehm agrammatischen Titel "Schluss mit Angst ! Für mehr Vertrauen in Deutschlands Zukunft" verkauft Erich J. Lejeune, der Autor von Du schaffst, was du willst! Die Kraft ist in Dir! und Aufbruch Deutschland. Die Streitschrift eines Unternehmers zur Lage der Nation neue spannende Platitüden für Leute, die auch gerne Bücher aus dem Econ-Verlag lesen.

Das allerdings ist weniger sensationell als der verlegerische Clou, aufs Titelbild eine kleine quietschgelbe Box mit folgenden Satzfragmenten draufzukleben:
Die Antwort auf Peter Hahne
Peter Hahne meint 'Schluss mit lustig'
Erich Lejeune sagt 'Schluss mit Angst'!
Gelebte Intertextualität! Ich bin begeistert. Kann der Einfall Schule machen?

Die Antwort auf Franz Kafka
Franz Kafka meint 'Beim Bau der chinesischen Mauer'
Günter Grass sagt 'Beim Häuten der Zwiebel'!

Die Antwort auf Marie de LaFayette

Marie de LaFayette meint 'Die Prinzessin von Cleves'
Nathalie Weidenfeld sagt 'Die Orangenprinzessin'!

Die Antwort auf Victor Klemperer
Victor Klemperer meint 'Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten'
Barbara Delinsky sagt 'Ich will nicht mehr warten, Jill'!

Die Antwort auf Katharina Münk
Katharina Münk meint 'Und morgen bringe ich ihn um'
Hubert E Schroeder sagt 'Manchmal tut man ja so etwas'!

Die Antwort auf Christian J. Thaler
Christian J. Thaler meint 'Ich will schwanger werden'
Gabi Hauptmann sagt 'Ran an den Mann'!
Ich bin gut informiert. Ich weiß viel. Ich habe viel Material.
mikrobe

Beitrag von mikrobe »

llse Hessler fragt:"Piepmatz, wie heisst du?"
Peter Seewald sagt:"Benedikt XVI - Leben und Auftrag"
Roscoe Fatty Arbuckle

Beitrag von Roscoe Fatty Arbuckle »

Konstantin Boltzmann. Dramatiker

Deutschland in naher Zukunft. Am Rande des politischen Nervenzusammenbruchs. Die gesellschaftliche Mitte radikalisiert sich zur sog. 'Extremen Mitte' und droht den traditionellen Radikalismus aufzusaugen und zu zerstören. Wie ein gieriger Wüstenschwamm auf Durchreise, der zum ersten mal an einer Wurstbude was zum Trinken kriegt. Der Staatsterror aus den Untiefen der Neuen Mitte bedroht sogar den ganz normalen Nazibrutalismus von nebenan. Besonders der arrivierte Faschismus von ganz rechts sieht sich plötzlich seiner gesamten sozialen Verpflichtungen beraubt und fürchtet geschockt um seine Existenz. Alle im Bundestag vertretenen Parteien, außer der Bauernpartei, der NKWD (Nationale Komintern Westdeutschland), KDW/Zentrum, der Arschlochpartei, den Tamil Tigers und den Wirtschaftswaisen/Grauen Stars ('Die Grauen Stars'), vereinigen sich in einer Nacht- und Nebelaktion zur 'MPD-Mittlere Partei Deutschland/Bündnis – Die Mittleren', einer gefährlich mittigen Politsekte mit Mehrheitscharakter aber ohne Charme und Gnade.

Dieses Horrorszenario bildet den Hintergrund von Konstantin Boltzmanns Drama 'Die unterdrückten Tränen der Eliten oder Zeig doch auch mal Emotion, Akademiker!', eines Einakters mit musikalischen Gesangseinlagen, der bei den diesjährigen Wolfenhagener Festspieltagen mit dem 'Zwiefarbenen Minipli', dem Kulturpreis der Henriette-Flaum-Stiftung für Originäres, ausgezeichnet wurde.

Boltzmann, studierter Ornithologe, kann bereits auf ein umfangreiches Werk zurückblicken: so schrieb er eine Biographie über den in Vergessenheit geratenen Osnabrücker Aktionskünstler Alfons ('Adelheid') Grau, der in den 60er Jahren mit seinen spektakulären Käsekuchenhappenings regelmäßig für Skandale in der Kunstszene sorgte. 1971, nach einem tragischen Sturz vom Moped in ein Schaufenster, verstummte Grau buchstäblich, indem er sich fortan zu sprechen weigerte und selbst mit seiner Frau nur noch über vollgeschmierte Notizzettel kommunizierte. Bis zu seinem Tod sprach Grau kein Wort mehr und verließ nie sein Haus, außer zu wichtigen Preisverleihungen, wo er immer mit versteinerter Miene die Urkunde und den Scheck entgegennahm und sogleich wieder verschwand. Er ging in die Kunstgeschichte ein als der Große Rätselhafte Schweiger des Nahrungsmittelhappenings (GRSdN), dessen letzte gesprochene Botschaft an die Welt lautete: "Fortan sei meine selbstgewählte Existenz in Stummheit der Existenz einer Schmetterlingsraupe gleich, nur nicht als Schmetterlingsraupe, sondern als beengter Einsiedler im Gummischlauch eines alten LKW-Reifens." Und tatsächlich: wie Boltzmann in 'Alfons Grau – Der Eremit im Schlauch. Eine Verpuppung.' beschrieb, soll Grau bis zu seinem Tod regelmäßig in einem alten Reifenschlauch geschlafen haben, aus Groll über die Kunst, das Leben und speziell über Mopeds. Bizarres Völkchen, diese Aktionisten!
Aber das nur so nebenbei. Denn eigentlich ist diese Rezension ja irgendwie dem Boltzmannschen Drama geschuldet. Daher nun zum eigentlichen Inhalt:

Nora Hauth (46), rauschgiftsüchtige Kaufhauserbin und Komparsin in drittklassigen Sexklamotten, ist frustriert über "diese aggressiven Muttis, die einem mit dem Kinderwagen immer über die Füße fahren. Und dass praktisch, ohne sich irgendwie zu entschuldigen. Dabei bezahlen wir Kinderlosen denen ja praktisch alles!" Schuld daran sei allein "der Meinungsterrorismus der extremen Mitte, die entweder mit Auswanderung in bessere Standorte - in 'die Staaten, nach USA' - droht, weil man dort ja sooo viel verdient, oder immer gleich diesen asozialen Rückzug ins Private macht. Cocooning sucks! Akademischer Aderlass sucks too, dirtyfuckers!" Sie ist eine Verzweifelte, die an der emotionalen Vereisung der Mittelklasse und der grassierenden Unfähigkeit zu trauern zerbricht. Eines Tages lernt sie den alleinstehenden Witwer Klaus kennen, einen einst weltberühmten Plastiker, der in Kassel eine karge Junggesellenmansarde in einer Plattenbausiedlung nahe der Documenta bewohnt. Klaus lebt von Stütze, seit ein Kritiker der 'Süddeutschen' seine Objekte als 'sehr schlecht, ja geradezu grotesk' brandmarkte und die Kunstwelt ihn daraufhin brutal schnitt. Er verbrannte aus Enttäuschung sofort alle seine Werke mitsamt Wohnung, wollte so "noch mal ganz von vorne anfangen. Aber vorher knüpf ich noch alle Kritiker auf, die Sauen, ich schwör es!" Unter den verbrannten Plastiken befanden sich auch 'Gwendolin – meine Mortadella-Venus' und 'Die Frühvergreisten', die einst den deutschen Pavillon bei irgendeiner Berlinale in Venedig zierten. Dieser Verlust schmerzt ihn sehr. Klaus ist ein Einsamer.

Nora und Klaus haben sich auf Anhieb lieb, erleben eine stürmende Passionsnacht. Es bahnt sich eine vorsichtige Liaison voller Träume und nie dagewesener platonischer Diskussionen an. So schöpfen sie wieder Kraft, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Sie gründen ein Experimentaltheater, das Elemente des Freejazz, traditioneller Walfischgesänge und japanischer Bauarbeiterlyrik mit Symbolismus, Spätidealismus und gut abgehangenem Schweinerock a la 'Whitesnake, bloß krasser' verbindet.
Fast schon Jelineksche Züge nimmt Boltzmanns 'Drama im Drama' an, als Klaus und Nora in einer Bayreuther Fußgängerzone ihr erstes Stück uraufführen, die 'Gespielten Fichte-Zitate':
Im Hintergrund hört man himmlische Choräle, gesungen von einem Männerchor, der aussieht wie die Village People in alt, im Vordergrund sieht man Frauen im Businesslook wahlweise beim Schlammcatchen oder Schattenboxen, dazwischen unsere beiden Hauptprotagonisten mit der Bild-Zeitung in der Hand beim Rezitieren, während über allem ein riesiges rosa Luftballonschwein schwebt. Die Handlung erreicht ihren Höhepunkt, als eine adrette Mittdreißigerin mit modischer Hornbrille und Kinderwagen Nora von hinten rammt, worauf diese unglücklich stürzt und sich das Genick bricht. Sterbend in Klaus' Armen liegend, flüstert sie ihm zum Abschied noch zärtlich ROSEBUD ins Ohr.......
Konstantin Boltzmann, ein Wühlender im Urschlamm der modernen Dramatik.
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Axel G.
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Beitrag von Axel G. »

Was sie schon immer über "Das Eva-Prinzip" wissen wollten und sich nicht zu fragen trauten:


Herr Wolff weiß Bescheid!


[quote="Wolff"]Von Kinderkrippen und rechten Schlägern

Denn Kinder, so erfahren wir bei Herman, sind oft deshalb selbst bindungsunfähig, weil sie von ihren Eltern, pardon, natürlich vor allem von der schlimmen, weil berufstätigen, weil rücksichtslos emanzipierten Mutter, schon früh in eine Kindertagesstätte gegeben werden. Und weil in der DDR Krippen wie mütterliche Berufstätigkeit gang und gäbe waren, wird auch die "höhere Gewaltbereitschaft im Osten", insbesondere "Rechtsradikalismus und Ausländerhass" kurzerhand dem ostdeutschen Erziehungssystem in die Schuhe geschoben (S. 119f.).

Weil man aber nicht alles dem Sozialismus anlasten kann, verweist Herman dann doch noch darauf, dass schon unter den Nazis – Herman verweist auf die Bücher von Johanna Haarer – Kinder diszipliniert und "hart" gemacht werden sollten, und dass diese ideologische Struktur heute immer noch zu beobachten sei:

[Man muss] die Vorrangstellung der Berufstätigkeit vor den emotionalen Bedürfnissen […] als ideologische Einflussnahme bezeichnen. Die ökonomischen Anforderungen stehen heute im Verdacht, den Rang einer Weltanschauung und Lebenseinstellung eingenommen zu haben. Wir sollen "opferbereit" sein wie die Mütter im Nationalsozialismus, wir sollen unsere Gefühle unterdrücken, uns von ihnen befreien, um ohne Sehnsüchte und ohne schlechtes Gewissen unserer Erwerbstätigkeit nachzugehen. (S. 145)

Damit nicht genug: vielleicht sind Kitas doch die Fortsetzung nationalsozialistischer und sozialistischer Zwangsbetreuung mit anderen Mitteln; gleich im Anschluss heißt es:

Bei der Frage von Babykrippen und Betreuungseinrichtungen gilt daher nicht ohne Grund das Motto: "Je früher, desto besser. Wer sich bindet, ist schwach; wer sich möglichst nüchtern verhält und Bindungen vermeidet, ist am ehesten in der Lage, sein Kind fröhlich lächelnd in fremde Hände zu geben." In Einrichtungen, wo es versorgt, aber ganz bestimmt nicht auf den Arm genommen und mit Zärtlichkeiten bedacht wird. Johanna Haarer wäre zufrieden. (ebd.)

Man wundert sich, dass die Kindertagesstätten gegen derlei Unterstellungen nicht vorgehen. Oder dass Herman an dieser Stelle nicht grundlegend fragt, warum wir denn eigentlich im Kapitalismus das Primat der Arbeitswelt gegenüber dem "Privaten" und der Kindeserziehung einfach hinnehmen – man könnte ja z.B. durchaus vorschlagen, dass sich die Arbeitswelt nach den Ansprüchen der Menschen ausrichten sollte. Schließlich schreibt Herman auch, wie im Bewusstsein revolutionärer Möglichkeiten: "Wir sind die materialistische Welt, wir machen sie selbst dazu. Genauso haben wir aber auch die Chance, uns diesen Mechanismen zu entziehen, wenn wir es nur wollen." (S. 24f.; Hervorhebung im Original) Natürlich macht sie nichts dergleichen.
"Diese Zustände werden wir nicht weiter hinnehmen - gegen diesen Haufen kann man sich ja kaum mehr auf der Straße blicken lassen!"
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Henriette Schpemming
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Registriert: Mi Mai 14, 2008 11:22 am
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Re: LESEN! (Die aktuelle Literaturkritik)

Beitrag von Henriette Schpemming »

Buchtipps - Meine momentanen Top Seven

Ich hab hier ein paar Lektüreempfehlungen für die Leseinteressierten hier im Forum evt. für die Sommerferien o.ä.

1. Martin Bangemann, Eberhard Puntsch: Politik und Menschenwürde. Der liberale Weg.
(Bonn Aktuell. 1986. 135 Seiten. ISBN 978-3879592654)

2. Freya Klier: Lüg Vaterland. Erziehung in der DDR.
(Kindler. 2001. 206 Seiten. ISBN 978-3463401348)

3. Jean-Jacques Kravetz: Meine 40 Jahre in der deutschen Rockmusik: von Frumpy über Udo Lindenberg bis Peter Maffay.
(Palmyra. 2008. 300 Seiten. ISBN 978-3930378753)

4. Jörg Knör: Wer hat den Bums? (Jörg Knör parodiert DJ Ötzi)
(earMusic. Dauer: 3:14 Minuten)

5. Julia Edenhofer: Tic Tac Toe. Kleine Träume werden groß.
(Heyne. 1997. 165 Seiten. ISBN 978-3453136311)

6. Jule Gatter-Klenk: Lech Walesa. Vielleicht auf Knien - aber vorwärts!
(Athenaeum. 190 Seiten. ISBN 978- 3761083406)
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